1955-1 Bodenseefahrt der Sippe "Wikinger"
Auszug aus dem Fahrtenbericht 1955 zum Bodensee - Fahrradtour- von Herbert
Preckel
Teilnehmer:
Hellmuth Schlüter
Jürgen Schlichting
Rolf Dreock
Harm Bäsmann
Manfred Niermann
Hans-Dieter Rademaker
Dietrich Richters
Herbert Preckel
In diesem Sommer unternahm ich mit sieben Jungen aus Bremervörde eine
größere Fahrt. Wir alle sind Mitglieder des Bundes Deutscher Pfadfinder
und bilden die Sippe "Wikinger" innerhalb unseres Stammes. Jede Woche
kommen wir zusammen. So ist es kein Wunder, daß wir uns im Laufe der Zeit
gegenseitig genau kennengelernt haben. Schon im Herbst 1954 tauchte bei uns
die Frage auf: Machen wir im nächsten Sommer eine Fahrt, oder wird es nicht
möglich sein! Doch in diesem Punkt gab es kein langes Überlegen. Eine
Fahrt wollten wir unter allen Umständen planen. Ohne Ausnahme interessierte
es jeden, denn hier galt es, eine Sache nach eigenem Muster vorzubereiten. Oft
fragten wir uns, welches Ziel wir uns aussuchen sollten. Wir erwogen sogar eine
Auslandsfahrt, sahen aber bald ein, daß es eine Schande ist, ins Ausland
zu fahren, da wir nicht einmal unser eigenes Land richtig kannten. So nahmen
wir uns eine Karte vor und sahen in Gedanken die schönsten Gegenden Deutschlands
vor uns. Schließlich wurde der Entschluß gefaßt, zum Schwarzwald
und an den Bodensee zu fahren. Bis zum Schwarzwald sollte uns die Bundesbahn
bringen. Von hier aus wollten wir dann mit unseren "Drahteseln" zum
Bodensee und zurück nach Köln, von hier aus wieder mit dem Zug. Auf
den Sippentreffen verbesserten wir den Plan so lange, bis jeder damit zufrieden
war. Wir wählten ferner einen Koch und einen Schatzmeister für die
Gemeinschaftskasse. Übernachten wollten wir selbstverständlich in
unserer erprobten und bewährten Kohte. Etwa im Mai begannen unsere praktischen
Vorbereitungen.
Dazu gehörte:
1. Eine vollständige Ausrüstung
2. Das Geldverdienen
3. Wochenendfahrten
Zu einer guten Fahrt gehört eine lückenlose Ausrüstung. Das ist
Vorbedingung, denn das Gelingen der Fahrt ist mit davon abhängig. Schon
ziemlich früh begannen wir zu sparen. Jeder Pfennig wanderte in die Fahrtenkasse.
Die Erwerbsquellen lagen auf allen Gebieten. Der eine arbeitete auf dem Bau,
der andere brachte Zeitungen aus, ein dritter ging ins Moor. Irgend wie bekam
jeder seine Groschen zusammen. Ja, erst die Arbeit, dann das Vergnügen.
Eines wurde uns klar: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Als Proben unserer
Vorbereitung unternahmen wir Wochenendfahrten in unsere nähere Umgebung.
Unser großes Pfingstlager, das alljährlich von der Landesmark Hamburg
durchgeführt wird, war für uns die Generalprobe. Wir sahen die gröbsten
Lücken in der Vorbereitung und füllten sie aus.
Am Donnerstag, dem 7.7.1955, versammelten wir uns am Heim. Alle sind guter Laune.
Um 17.30 Uhr geht es endlich los. Wir wählen den kürzesten Weg durchs
Moor. Etwa 20.45 Uhr erreichen wir Bremen. Da unser Zug erst 0.26 Uhr abfährt,
haben wir noch ca. 3 Stunden Zeit. Nach langem Warten ist es schließlich
soweit.
Die Reiseführerin begleitet uns zum Zug. Nun beginnt ein eifriges Packen.
Zu unserer größten Freude bekommen wir ein eigenes Abteil. Bald fährt
der Zug an und dampft hinaus in die dunkle Nacht. Wir atmen erleichtert auf.
Auf diesen Augenblick haben wir lange gewartet. Allmählich übermannt
uns der Schlaf, aber durch das ungewohnte, eintönige Rumpeln des Zuges
finden wir keine Ruhe. Stunde um Stunde vergeht. In Frankfurt überqueren
wir den Main. Langsam beginnt es zu dämmern. Wir folgen von nun ab dem
Rheinlauf in der Oberrheinischen Tiefebene, kommen jedoch nie so dicht heran,
daß wir ihn sehen können. Um 13.30 Uhr rollen wir in Freiburg ein.
Am Gepäckschalter nehmen wir dann unsere Räder in Empfang und satteln
auf.
Freiburg macht mit seinen engen Straßen den Eindruck einer mittelalterlichen
Stadt. Der große gotische Dom mit dem 115 Meter hohen Westturm ist ein
bedeutendes Wahrzeichen der Stadt. In der Turmvorhalle bewundern wir eine Reihe
gotischer Bildwerke. Von dem ehemaligen Zunfthaus gegenüber dem Dom fertige
ich mir eine Skizze an.
Wir entschließen uns, noch am selben Tag zum Titisee zu fahren oder vielmehr
zu schieben. Die Hälfte des Weges können wir nur auf den Rädern
sitzen. Dann beginnt die schwierigste und zugleich schönste Strecke unserer
Fahrt, 15 km bergauf durch das Höllental. An der tiefsten Stelle dieser
gewaltigen Schlucht führt eine Straße hindurch. Dicht neben der schmalen
Fahrbahn treten die nackten Felsen hervor. Am Abhang gedeiht ein dunkler Tannenwald.
Bald haben wir die engste Stelle der Schlucht erreicht:
Der Hirschsprung
Hier soll laut der Sage der Hirsch bei einer Jagd über die Schlucht gesprungen
sein. An der betreffenden Stelle steht ein bronzener Hirsch.
Wir machen halt, essen und ruhen uns von der Anstrengung aus. Wir lassen uns
neben dem Gebirgsbach nieder, dessen Wasser zwischen den groben Felsblöcken
hindurch abwärts plätschert.
Bald schieben wir weiter, einer hinter dem anderen in langer Reihe. Am Ende
der Schlucht geht es seitlich in Serpentinen den Berg hinauf. Je höher
wir kommen, je schöner ist die Aussicht. Ab und zu halten wir, um den herrlichen
Ausblick in das weite Tal zu genießen, das weit unten, in leichten Nebel
gehüllt, vor uns liegt. Doch die große Steigung macht uns schwer
zu schaffen, und mancher Schweißtropfen läuft die Stirn hinunter.
Erst gegen Abend erreichen wir unser Ziel. Der Anblick dieses wunderbar gelegenen
Sees macht auf uns einen großen Eindruck. Nun ist es Zeit, einen geeigneten
Zeltplatz zu finden. Etwa eine halbe Stunde fahren wir am See entlang, ohne
eine passende Stelle zu sehen. An jedem Waldrand steht ein Schild: - Zelten
verboten -
Da hilft alles Jammern nichts. Wir sind gezwungen, den Campingplatz zu benutzen,
was ganz gegen unseren Plan verstößt. Die Schönheit und Stille
einer Naturlandschaft ist nicht mit Superwohnwagen, Bierflaschen, Motorradgeknatter
und Radiogeklimper gleichzusetzen. Schon auf früheren Fahrten haben wir
diesem Treiben mit Abneigung zugesehen. Ein letzter Versuch, bei einem Bauern
zu fragen, ob wir unsere Kohte vielleicht auf dessen Grundstück auf- schlagen
können, endete damit, daß Hellmuth unverhofft von einem Hund angefallen
wird.
Unsere nächste Station ist schließlich der Zeltplatz. An einem einigermaßen
trockenen Platz richteten wir das Zelt auf. Nachdem wir uns gewaschen haben,
essen wir erst einmal kräftig.
Gleich darauf kriechen wir ins Zelt, denn wir alle sind mehr oder weniger abgespannt
und dazu leicht verstimmt durch die körperliche Verfassung und das uns
zugestoßene Mißgeschick.
Am folgenden Morgen wachen wir frisch und gutgelaunt auf. Während sieben
Mann im Dauerlauf zum nächsten Waldstück laufen, um Brennholz zu holen,
bleibt einer zurück, baut eine vorschriftsmäßige Feuerstelle
und setzt Kaffeewasser auf. Bald kommen wir zurück und gehen dann gemeinsam
an den nahen Bach zum Waschen.
Es ist selbstverständlich, daß wir den Oberkörper entblößen.
Ich eile schon vorzeitig zurück, um den inzwischen niedergebrannten Holzscheit
zu erneuern. Kurze Zeit darauf kommen die anderen zurück und räumen
ihre Sachen auf.
Aber bevor wir essen, legen wir die Küchenregeln für die ganze Fahrt
fest. Für die kommenden Tage übernehmen je 2 Mann abwechselnd die
Vorbereitung für das Essen. Schnell sind die Brote geschmiert, um dann
fast gleichzeitig in acht hungrige Mäuler zu verschwinden.
Etwa um 11.00 Uhr marschierten wir los. Unser Ziel ist der Titisee und die nähere
Umgebung. Nach halbstündiger Wanderung lassen wir uns auf einer Rasenfläche
nieder. Harm, Jürgen, Manfred und Dietrich baden sogar für kurze Zeit
in dem ca. 16 Grad kalten Wasser. Wir anderen vergnügen uns auf andere
Weise. Im Verlaufe des Nachmittags erklimmen wir den an den Titisee grenzenden
Berg. Unsere Kraftanstrengungen werden durch einen wunderbaren Ausblick auf
den See belohnt. Die Motorboote und Ruderkähne erscheinen uns wie Punkte.
Der See hat schätzungsweise eine Länge von 3 Km und ist 1,5 Km breit.
Der schwarze Tannenwald grenzt unmittelbar an das Wasser. In den Wellen des
Sees spiegeln sich die dunklen Spitzen der Bäume wider.
Am Spätnachmittag kehren wir zum Lagerplatz zurück. Schnell treffen
wir die Vorbereitungen für ein kräftiges, warmes Essen. Heute abend
verschwinden wir nicht so schnell in den Decken.
Mit Einbruch der Dunkelheit setzen wir uns im Kreis um das Kohtenfeuer. Die
Liederbücher werden hervorgeholt, und dann schmettern wir 3-4 Lieder. Draußen
ist es jetzt vollends dunkel geworden. Das flackernde Feuer erleuchtet den Raum
und wirft seltsame Schatten an die Kohtenwand. Durch das Rauchloch glitzern
die Sterne.
Es wird allmählich kühl. Die Glut wärmt uns und verscheucht die
Mücken, deren wir uns vorher kaum erwehren konnten. Es folgt eine Geschichte.
Die Stunden vergehen. Bis in die tiefe Nacht sitzen wir noch in dieser gemütlichen
Runde. Dann strecken wir uns zum Schlaf aus.
Etwa um 10.00 Uhr sind wir reisefertig. Mit Hilfe des Kompasses wollen wir querfeldein
zum Feldberg marschieren. Der Gipfel ist vom Titisee aus zu erkennen. Brotbeutel
und Feldflasche werden an die Seite gehängt, und los geht's.
Wir folgen einem Gebirgsbach, dessen eisklares Wasser zwischen den Steinen hindurch
abwärts rieselt. Von Stein zu Stein springend, oft durch überhängendes
Gesträuch, sehen wir unseren Weg. Plötzlich stehen wir vor der Quelle.
Wenn wir bisher viel gesprochen haben, so scheint jetzt jedes überflüssige
Wort störend. Dieses Stück Natur in seinem tiefen Waldfrieden ist
noch nicht von dem Getöse des Großstadtlärms durchdrungen. Hier
finden wir eine besonders üppige Pflanzenwelt, ein Paradies für den
Pflanzenfreund. Wir wandern höher und höher und haben infolgedessen
einen immer schöneren Ausblick auf die umliegenden bewaldeten Höhen
und den im Berg eingebetteten Titisee. Wir entdeckten immer neue, schönere
Aussichten.
Auf unserem Weg finden wir sogar viele Walderdbeeren. Nach langer Wanderung
sind wir endlich am Feldberg angekommen. Am Fuße des Feldbergs finden
einen herrlich gelegenen See. Nach einem Spaziergang um diesen See ersteigen
wir die mit etwa 45 Grad ansteigende Felswand. Es ist eine äußerst
anstrengende Kletterpartie, die uns auf den Gipfel des Feldberges führt.
Leider hüllt eine tiefhängende Wolke den Berg völlig ein.
Es ist so nebelig, daß wir kaum den Weg zum Bismarckdenkmal finden. Zu
unserer Verwunderung sehen wir hier eine Seilbahn und einen festen Weg, der
hier herauffährt. Doch keiner von uns bereute den schwierigen Aufstieg.
Wegen der schlechten Aussicht machen wir uns bald auf den Rückweg. Mit
frohem Gesang marschieren wir die Straße entlang in Richtung Titisee.
1 3/4 Stunden marschierten wir, dann haben wir die 13 km geschafft.
Abends kochen wir noch eine prima Nudelsuppe und damit geht ein erlebnisreicher
Tag zu Ende.
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